Der Einstieg in den Keller erfolgt vom Gelände einer Mittelschule aus. Gesichert ist er mit einer Schleuse aus Stahltüren. Die Gänge sind schmal, vielleicht 2,20 bis 2,50 Meter hoch. Einige kleinere Seitenräume gehen von ihnen ab, es gibt einen großen Raum für einige hundert Personen. Die Decke ist gewölbt, um dem Druck besser stand zu halten. Ein Duschraum befindet sich am Ein- und Ausstieg, um atomare Verseuchungen abzuspülen.
Hier, unter der Erde von Shanghai, befindet sich ein System von Luftschutzkellern. Rang Zhonglian, Leiter des Jü Juan-Straßenkomitees, berichtet stolz, wie die Anwohner nach der Weisung des Vorsitzenden Mao das unterirdische Tunnelsystem Mitte der siebziger Jahre fertig gestellt haben. Die Pläne wurden von einem pensionierten Architekten erstellt, den Bau führten die Frauen und Jugendlichen der Straße aus. Nach Feierabend halfen dann auch die Berufstätigen mit. Nur das Material wurde vom Staat bereitgestellt. Aus der gemeinsamen Arbeit kenne jeder die Anlage und die Einstiegsmöglichkeiten. Jeder aus dem Straßenkomitee wisse genau, wo er im Ernstfall hin müsse, Katastrophenpläne seien damit überflüssig, so Rang Zhonglian.
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In Friedenszeiten erfolgt die Wasser-, Luft- und Stromversorgung von außen, im Kriegsfall gibt es einen unterirdischen Brunnen, eine Belüftungsanlage und Stromversorgung mittels eines Benzin-Generators. Für welchen Zeitraum Benzin und Lebensmittel reichen, bleibt ein Geheimnis. Die Lebensmittel jedenfalls sollen im Krisenfall binnen zwanzig Minuten von der Oberfläche hinuntergebracht werden.
In einem Kriegsfall, davon gehen die Mitglieder des Straßenkomitees aus, werden Bomben und Atombomben auf die Stadtzentren abgeworfen. Um ein Überleben zu sichern, müsse sich dann ein Teil der Bevölkerung aus den Außenbezirken von Shanghai aufs Land begeben.Für alle anderen, meint man, gebe es ausreichend Raum in den Kellern.
Die Luftschutzanlagen der verschiedenen Straßenkomitees sind zu großen Teilen miteinander verbunden, so dass – wie in allen chinesischen Städten – in Shanghai ein weitverzweigtes Netz entstanden ist.Der Ausbau wird weiter vorangetrieben, bei jedem Neubau besteht die Verpflichtung, einen Keller mitzubauen. Der des Jü Juan-Straßenkomitees ist mit drei weiteren verbunden.
An der tiefsten Stelle befindet sich der Bunker gerade einmal zehn Meter unter der Erde. Zweifel an der Widerstandsfähigkeit gibt es beim Straßenkomitee dennoch nicht. Dass es in Europa nur wenige Bunker gibt, stößt auf Erstaunen. Ebenso wie die Einschätzung, dass die Bereitschaft zum Bunkerbau nach Feierabend dort wenig ausgeprägt wäre.
Neonröhren erleuchten die düsteren Kellerräume. An weiß gedeckten Tischen sitzen Arbeiterinnen und Arbeiter, vor sich Kisten mit Druckknöpfen und Nähutensilien, im Nebenraum stehen Nähmaschinen.
Die Raumnot in der Stadt zwinge dazu, alle Räumlichkeiten zu nutzen, erklärt Rang Zhonglian. Im Luftschutzkeller des Jü Juan-Straßenkomitees befindet sich deshalb eine Kleiderfabrik. Hier arbeiten Frauen, die zum Teil vorher arbeitslos waren. Sechs Tage in der Woche nähen sie jeweils sieben statt der sonst üblichen acht Stunden. Ein kleiner Ausgleich für die Arbeitsbedingungen bei Neonlicht, stickiger und schwüler Luft. Obwohl es eigentlich keine Beeinträchtigungen gebe, so Rang Zhonglian, werden die hier tätigen Arbeiterinnen und Arbeiter einmal im Jahr untersucht, bisher seien dabei keine Herz- oder Kreislaufschäden festgestellt worden. Sollte dies einmal der Fall sein, werde natürlich ein Arbeitsplatz über der Erde vermittelt.
Der Beitrag entstand im November 1983.