Letztlich ist Religion dann doch immer eine Frage des Glaubens. In seinem neuen Buch zur Lebensgeschichte von Mohamed und der Entstehung des Koran bekennt Hamed Abdel-Samad: „Nun glaube ich aber nicht, dass Gott zu Mohamed – oder zu sonst jemandem – jemals sprach.“ Der Koran – ein Werk der Menschen und nicht Gottes? Wohl eine der entscheidenden Glaubensfragen. Denn damit geht es um die Unumstößlichkeit der Texte.
Als Kind hatte Hamed Abdel-Samad den Koran auswendig gelernt, später liebäugelte er mit der Muslimbruderschaft. Jetzt analysiert der deutsch-ägyptische Autor in seinen Büchern die Religion, deren Anhänger er einmal war, mit großer Distanz und sieht wenig Reformenswertes. „Mohamed – Eine Abrechnung“ lautet etwas reißerisch der Titel seines jüngsten Buches. Die AfD hat ihn als Islamkritiker für sich entdeckt und zu mehreren Lesungen eingeladen, sicher auch als Kronzeugen gegen Zuwanderung. Gut aufgehoben ist er dort aber nicht, denn eigentlich geht es dem Autor wohl eher um einen Sieg der Vernunft. So versuchte er denn auch linken Gegendemonstranten, die ihn am Reden hindern wollten, zu erklären, „warum ich es wichtig finde, gerade in diesen Zeiten mit dem politischen Gegner einen Dialog zu führen“.
In seinem kurzen Abriss der Biographie Mohameds stellt Hamed Abdel-Samad eine Verbindung zwischen den unterschiedlichen Lebensphasen des Propheten und der verschiedenartigen Ausrichtung der Koransuren her. Findet sich im ersten Teil des Koran, entstanden in Mekka, viel Friedvolles und Erbauliches, so sind die später in Medina entstandenen Suren geprägt von den kriegerischen Auseinandersetzungen, die Mohamed inzwischen führt. Es geht um Treue, Gehorsam, Eroberung, Vernichtung oder die Verteilung der Beute. Insofern, so die These Hamed Abdel-Samads, mache es genauso wenig Sinn, sich auf einen friedlichen wie auf einen kriegerischen Islam zu berufen. Beides sei im Koran gleichermaßen zu finden. „Man muss eher die Gültigkeit des Koran als Ratgeber für Fragen, die Gewalt, Frieden und Menschenrechte betreffen, angreifen“, so die Folgerung des Autors.
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So wie Mohamed eine Entwicklung durchlaufen hat, die ihn nach dem Tod seiner älteren und wohlhabenden Ehefrau Khadidscha, mit der er glücklich und zufrieden lebte, vom verlachten Propheten zum kriegerischen Helden aufsteigen ließ, der die arabischen Stämme einte, so ändern sich auch die Regeln, die der Koran vorgibt. Sie werden strenger, drohender.
Vieles aus jener Zeit ist erst 200 Jahre später aufgeschrieben worden, die arabische Schriftsprache entwickelte sich weiter, manche Begriffe können falsch übersetzt worden sein. So ist es bis heute unklar, ob 72 Jungfrauen im Himmel warten oder 72 köstliche Weintrauben. Und schließlich greift Hamed Abdel-Samad auch die Frage auf, ob Eingebungen, die Mohamed weitergab, in Momenten von epileptischen Anfällen entstanden.
Mit all den Fragen, die Hamed Abdel-Samad stellt, will er einer Überhöhung der Person Mohameds und des Koran entgegenwirken, die den Islam in seiner Entwicklung hemme. Person und Schrift müssen in ihrer Zeit gesehen werden, sie haben damals Orientierung gegeben. Aber 1400 Jahre später ist eine wortwörtliche Auslegung für den Autor nicht mehr der angemessene Umgang.
Hamed Abdel-Samad, Mohamed: Eine Abrechnung, 240 Seiten, Droemer HC ISBN-13: 978-3426276402, 19,99 Euro (E-Book 17,99 Euro)