Ein Buch über Zukunftskonzepte der SPD hatte sie schreiben wollen und damit im Frühjahr 2009 begonnen. Nun muss sie sie umsetzen. Seit November 2009 ist Andrea Nahles Generalsekretärin der SPD. Ihr Buch, das sie Anfang Dezember unter dem Titel „Frau gläubig links“ vorstellte, war da schon fast fertig.
Vielleicht sollte das Buch zu viele Funktionen auf einmal erfüllen. Mit persönlichen Schilderungen will es dem Bild der machtorientierten Politikerin entgegenwirken, das Medien von ihr vor allem nach ihrer ersten gescheiterten Kandidatur als Generalsekretärin entwarfen, die mit dem Rücktritt Franz Münteferings endete.
Es wirbt mit Berichten aus Schulbesuchen, Eindrücken von Bürgersprechstunden oder Begegnungen im Jerusalemer Willy-Brandt-Zenrum für Einfühlungsvermögen in andere Positionen, für Empathie. Es beschreibt eine Andrea Nahles zwischen Großstadt und dörflicher Heimat. Und es zeigt eine bekennende Christin, die aus ihrem Glauben Kraft schöpft und gemeinsame Werte von Christentum und Sozialdemokratie interpretiert.
Neben persönlichen Momenten reißt Andrea Nahles Themen an, die sie für die Debatte in der SPD für wesentlich hält. Es ist die Frage, wie eine soziale Marktwirtschaft der Zukunft aussehen kann, wie Menschen wieder ein Gefühl von Sicherheit gegeben werden, wie Frauen Gelegenheit gegeben werden kann, die unterschiedlichen Lebensabschnitte mit Beruf, Kindern und Familie zu gestalten.
Und schließlich gibt das Buch auch unter dem Eindruck des Wahlergebnisses vom September 2009 lesenswerte Antworten auf die Frage, wie ein derartiger Vertrauensverlust entstehen konnte. Da wird das Buch aber keine „Abrechnung“, sondern eine in aller Knappheit doch differenzierte Beschreibung, wenn etwa in der Agendapolitik sinnvolle politische Absichten und technokratische Verfolgung der Ziele unterschieden werden.
Entschieden setzt sich die gläubige Christin in der Politik für den Zweifel ein. Nachdenken über das eigene Handeln, auch das Eingestehen eigener Fehler empfindet sie als Stärke, Willy Brandt führt sie dabei als ihr Vorbild an. Aus dieser Sicht ergibt sich für sie auch die Ablehnung des „TINA“-Prinzips („there ist no alternative“) – der oft bemühten angeblichen Alternativlosigkeit politischer Entscheidungen.
Konsequent wirbt sie für ein Menschenbild, das von Freiheit geprägt ist – von Freiheit vor konservativer Beeinflussung der Massen ebenso wie vor pseudo-linker Bevormundung des Einzelnen. Nah will sie den Menschen sein – und sie mit ihren Anliegen ernst nehmen. Was allerdings für Parteien auch den Abschied von politischen Sprachformeln bedeuten muss.
Andrea Nahles: „Frau, gläubig, links“ Was mir wichtig ist, Pattloch-Verlag, 240 S., broschiert, ISBN 978-3629022394, EUR 16,95.
(erschienen in: Berliner Stimme 1-2010, 16. Januar 2010)