Mo.. Okt. 13th, 2025
Heringsdorf, Strand und Theatergruppe. Foto: Ulrich HorbHeringsdorf, Strand und Theatergruppe. Foto: Ulrich Horb
Heringsdorf, Seebrücke am Abend. Foto: Ulrich Horb
Heringsdorf, Seebrücke am Abend. Foto: Ulrich Horb

Der Kaiser kam erst später. Eigentlich begann die Geschichte Usedoms mit Fischern, Bauern, Handwerkern und Arbeitern.  Sie alle hatten ihren Anteil daran, die Insel an der Ostseeküste zu erschließen und nutzbar zu machen. Im 19. Jahrhundert veränderte sich der Charakter, die Zeit des Badetourismus begann. Nun kamen auch die Kaiser: Wilhelm I. entdeckte die Insel für sich, Wilhelm II. nutzte sie als Sommerfrische. Die Orte wurden als „Kaiserbäder“ geadelt, mit einer neuen Bahnstrecke von Berlin aus auch für das wohlhabende Bürgertum gut erreichbar.

Usedom ist eine Insel, auch wenn die Inselbesucher davon wenig merken. Peenestrom und Stettiner Haff trennen sie vom Festland, zwei Brücken über die Peene verbinden die Insel mit dem deutschen Festland. Nur in den kurzen Zeiten, in denen eine Klappbrücke für die Schifffahrt geöffnet wird, kommt das Inselgefühl auf.

Geformt wurde die Küste in der Eiszeit. Wo sich heute Usedom befindet, gab es zunächst eine kleine Inselgruppe, aus der im Laufe der Zeit mit dem Absinken des Meeresspiegels und angeschwemmtem Sand eine zusammenhängende Landschaft mit einigen Erhebungen wurde. Wind, Wetter und Strömung formen die Küstenlandschaft seither weiter, immer wieder kommt es auch zu Abbrüchen an der Steilküste.

Die Besiedlung Usedoms begann in der Steinzeit. Ausgrabungsfunde reichen bis in die Zeit um 4000 v. Chr. zurück. Während der Bronzezeit um 1600 v. Chr. Findet im Ostseeraum bereits ein steter Warenaustausch statt. Der begehrte Bernstein wird von den Germanen, die sich um 600 v. Chr. niedergelassen haben, bis ins Römische Reich exportiert. Auf die germanischen Stämme, die die Gegend mit der Völkerwanderung verließen, folgten im 8. und 9. Jahrhundert n. Chr. slawische Stämme wie die Wenden. Die Stadt Usedom, slawisch: uznam, wurde im 11. Jahrhundert zum Zentrum eines Burgbezirks.

Die Insel hatte eine wechselvolle Geschichte. So wurde die slawische Burgsiedlung zu Beginn des 12. Jahrhunderts von den Dänen zerstört.

Im 12. Jahrhundert begann auch die Christianisierung der Insel. Auf zwei Missionsreisen kam Bischof Otto von Bamberg 1124 und 1128 nach Pommern. Bei der zweiten Reise des Bischofs ließ Herzog Wartislaw I. die Adeligen aus Westpommern auf dem Schlossberg von Usedom zusammenkommen, um das Bekenntnis zum Christentum abzulegen. Mitte des 12. Jahrhunderts wurde die Burg wieder errichtet und die Stadt Usedom aufgebaut.  Feuersbrünste zerstörten sie zweimal: 1475 und 1688.  Im Westfälischen Frieden von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, wurde Usedom Schwedisch-Pommern zugeschlagen.  Mit dem Frieden von Stockholm 1720 wurde Usedom Teil der preußischen Provinz Pommern. Napoleon Eroberungszüge veränderten die Landkarte erneut. Schweden trat Vorpommern und Rügen als Folge des Wiener Kongresses an Dänemark ab, das es gegen das Herzogtum Lauenburg und eine Zahlung von 3,5 Millionen Taler an Preußen weitergab.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahm die wirtschaftliche Entwicklung Usedoms an Fahrt auf. Die Brüder Georg Bernhard und Ernst Gottfried George von Bülow ersteigerten nach dem Konkurs des Gutes Mellenthin, das wie ganz Pommern unter den Plünderungen in der Zeit der Napoleonischen Kriege gelitten hatte, das Vorwerk Gothen mit armen Dörfern und reichen Waldgebieten. Das Holz wurde gewinnbringend nach Dänemark verschifft, an der Küste siedelten sich weitere Fischer an, 1820  erhielt die neue Fischerkolonie östlich von Neukrug den Namen Heringsdorf.

Das Meer wurde nicht mehr nur als Gefahr angesehen. An der Küste Englands waren die ersten Badeorte entstanden, Meerwasser und Seeluft galten nun als förderlich für die Gesundheit. Heiligendamm, Norderney, Travemünde und Wangerooge folgten als Badeorte an der deutschen Küste.

Das heute  polnische Swinemünde (polnisch: Świnoujście), eine einst von Preußen im 18. Jahrhundert ausgebaute Hafenstadt,  beherbergte ab 1824 die ersten Badegäste auf Usedom. Das weckte Begehrlichkeiten. Georg Bernhard von Bülow ließ ein Jahr später in Heringsdorf ein Damen- und ein Herrenbad errichten, Fischer vermieteten Zimmer, ein Logierhaus bot vier Familien Unterkunft. In Strandnähe standen Badehütten.

Heringsdorf, Damenbadweg. Foto: Ulrich Horb
Heringsdorf, Damenbadweg. Foto: Ulrich Horb

Das Baden folgte noch strikten Regeln. Die Bereiche für Damen und Herren waren getrennt, die Badeanzüge reichten im 19. Jahrhundert bis über das Knie. Das Publikum in Heringsdorf war gemischt, wie der Badegast Heinrich Laube 1837 notierte: „In Heringsdorf wohnen Poeten, die keine bewegte Welt brauchen, und eine halbe Einsamkeit suchen,  resignierte Mädchen, Professorenfrauen mit vielen Kindern, die einer Seewäsche bedürfen, Diätiker mit starken Grundsätzen und andere ehrliche Leute, welche man nicht in Swinemünde oder sonst wo haben will.“ Männer trugen einteilige Badeanzüge, die ab 1900 kurze Beine hatten, Frauen zeigten nach 1900 Knie und später auch Oberschenkel unverhüllt.  Erst 1924 kam die Freibadeerlaubnis, die das Baden am Strand außerhalb der Badeanstalten ermöglichte. So lange mussten auch Kinder am Strand vollständig bekleidet spielen.

Eine Ausstellung zur Geschichte von Heringsdorf in der Nähe der Seebrücke berichtet, dass der Ort 1846 90 Einwohnerinnen und Einwohner hatte und schon 400 Badegäste. Das benachbarte Ahlbeck wuchs dank der Ansiedlung von Kolonisten, die für die Entwässerung der Böden sorgen sollten, von 18 Einwohnern 1765 auf mehrere hundert Einwohner zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die ersten Badegäste fanden sich 1852 in dem Fischerdorf ein.

Heringsdorf, Gedenkstein für Hugo Delbrück. Foto: Ulrich Horb
Heringsdorf, Gedenkstein für Hugo Delbrück. Foto: Ulrich Horb

Die Brüder Adelbert und Hugo Delbrück sahen als erste die Entwicklungschancen von Heringsdorf. Von der Gräfin zu Stolberg-Wernigerode erwarben sie den Ort mitsamt den Badeanstalten, gründeten die Aktiengesellschaft Seebad Heringsdorf und fanden unter den Berliner Bankiers, darunter Benoit Oppenheim und Gerson von Bleichröder, die notwendigen Investoren. Hugo Delbrück wurde erster Direktor der Aktiengesellschaft. Beide Brüder hatten die bürgerliche Revolution 1848 unterstützt, Adelbert engagierte sich in der liberalen Fortschrittspartei.

Von Berlin aus waren die Badeorte Usedoms zunächst nur in mehreren Tagesetappen mit der Pferdekutsche zu erreichen. 1843 wurde die Bahnstrecke Berlin Angermünde Stettin in Betrieb genommen. Von Stettin ging es per Raddampfer weiter bis nach Swinemünde und Greifswald. Für zusätzlichen Aufschwung sorgte 1876 der Bau einer Eisenbahnstrecke von Ducherow auf dem Festland bis nach Usedom- Swinemünde. Dabei wurde die Peene bei Karnin mit einer Drehbrücke überquert. Vor allem für Gäste aus Berlin war die Insel nun gut erreichbar. Die Brücke wurde gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört, Überreste stehen noch.

Das neben Swinemünde, Ahlbeck und Heringsdorf vierte Seebad auf Usedom wurde das 1897 gegründete Bansin. Die Heringsdorfer Aktiengesellschaft hatte zuvor von Bansiner Bauern Dünenland erworben.  Immer mehr wohlhabende Industrielle und Bankiers, aber auch Adlige und wohlhabende Bürgerinnen und Bürger aus Berlin errichteten prunkvolle Villen in Strandnähe für ihre Sommeraufenthalte. 1891-1893 wurde in Heringsdorf eine 400 Meter lange und später noch einmal verlängerte Seebrücke gebaut, die auch größeren Schiffen das Anlegen ermöglichte, auf der es aber auch Restaurants und Geschäfte gab.

Heringsdorf, Villa Staudt mit Kaiserdenkmal. Foto: Ulrich Horb
Heringsdorf, Villa Staudt mit Kaiserdenkmal. Foto: Ulrich Horb

Zwischen 1895 und 1913 nutzte Kaiser Wilhelm II. die Villa Staudt in Heringsdorf zur Erholung und sorgte für den Beinamen „Kaiserbäder“.  Es gab zahlreiche prominente Gäste, der Schriftsteller Maxim Gorki gehörte dazu, der Künstler Lyonel Feininger, dessen Wirkungsorte auf einer Radtour erfahren werden können, Leo Tolstoi oder Theodor Fontane, der nicht nur in der Mark Brandenburg wanderte, sondern auch an der Strandpromenade Usedoms. Thomas Mann arbeitete auf Usedom am Zauberberg.

Ein Kurpark stand zum Flanieren zur Verfügung, es wurde Boccia oder Federball gespielt. Heringsdort erhielt 1898 ein Strandcasino mit 18 Verkaufsläden und einem großen Tanzsaal. 13.430 Kurgäste wurden damals im Ort gezählt. Immer mehr Ferienunterkünfte und Hotels entstanden. Ahlbeck, dessen 1882 erbaute Seebrücke die älteste erhaltene Deutschlands ist, zählte1907 mehr als 17.000 Sommergäste. 1911 wurde die Eisenbahnverbindung von Heringsdorf nach Wolgast in Betrieb genommen.

Ein im Durchschnitt 40 Meter breiter und 40 Kilometer langer feinkörniger Sandstrand bietet bis heute ausreichend Platz für die Badenden. Eine durchgehende rund zwölf Kilometer lange Promenade, die längste in Europa, verbindet die „Kaiserbäder“ und reicht bis ins polnische Świnoujście. Sie führt vorbei an zahlreichen Beispielen prachtvoller Bäderarchitektur.

Heringsdorf, Villa Oechsler. Foto: Ulrich Horb
Heringsdorf, Villa Oechsler. Foto: Ulrich Horb

Es gibt keine einheitliche Architektur – es ist eine Vielfalt an Stilen, die die Villen der Kaiserbäder prägen. Säulen, Erker, kleine Türme, Freitreppen und vielfältige Schmuckornamente an den Fassaden erinnern an italienische, griechische oder römische Bauten. Dazwischen finden sich Holzhäuser. Großzügige Gartenanlagen umgeben die Gebäude, die die Bedeutung ihrer Eigentümer zeigen und mitunter auch in Anlehnung an deren Berliner Villen entworfen wurden. Über 520 denkmalgeschützte Bauten gibt es auf der Insel. Etliche wie die Villa Oppenheim, die Villa Delbrück, die Villa Staudt oder die Villa Bleichröder befinden sich in Heringsdorf. Der Ort wurde zum Treffpunkt der Oberklasse, der Bau einer Pferderennbahn und von Tennisplätzen unterstrich die Entwicklung.

Es gab auch Rückschläge. So zerstörte 1913 ein heftiges Sturmhochwasser die Badeanstalten von Bansin, Dünen, Fischerhütten und Teile der Promenade.

1921 übernahm die Gemeinde die Aktiengesellschaft. Die Heilanwendungen wurden ausgebaut, eine Solquelle wurde erschlossen. Heinrich Mann beschrieb Heringsdorf in den 1920er Jahren als „Berliner Vorort“. Viele Künstlerinnen und Künstler, Schauspielerinnen wie Lilian Harvey oder Adele Sandrock machten hier Station.

Mit der Machtübernahme Hitlers waren jüdische Badegäste „unerwünscht“.  In der Friedenstraße erinnern sieben Stolpersteine an die ermordeten jüdischen Mitbürger in Heringsdorf.

Im 2. Weltkrieg blieben die Badeorte weitgehend verschont, bis am 12. März 1945 661 US-Bomber das von Flüchtlingen überfüllte Swinemünde zur Unterstützung der heranrückenden Roten Armee angriffen. Zahlreiche Häuser wurden zerstört, 4000 bis 6000 Menschen kamen ums Leben. Im Oktober 1945 wurde Swinemünde polnisch.

Heringsdorf wurde von den sowjetischen Truppen zwischen 1945 und 1950 als Sanatorium genutzt, die Gebäude dann der DDR übergeben. 200 Fischer gingen um 1950 noch ihrer Arbeit hauptsächlich in Bansin und Ahlbeck nach. 1953 enteignete die DDR in der „Aktion Rose“ zahlreiche privat geführte Pensionen. Etliche Villen wurden zu Ferienheimen des FDGB oder der Stasi, allein der FDGB betrieb 30 Ferienheime und 18 Betriebsferienheime. Jährlich kamen 60.000 Feriengäste nach Heringsdorf.

Nach 1989 wurden einige der Strandvillen an frühere Besitzer rückübertragen, andere wurden von der Treuhand oder dem Land Mecklenburg-Vorpommern verkauft. Heute sind die meisten aufwendig instandgesetzt und meist so umgebaut, dass mehrere Ferienwohnungen darin Platz finden.

Heringsdorf, Riesenrad. Foto: Ulrich Horb
Heringsdorf, Riesenrad. Foto: Ulrich Horb

Vor allem Heringsdorf setzt auf zusätzliche Attraktionen. Nahe der Seebrücke dreht sich ein Riesenrad mit Ausblick über den Ort, ein Theaterzelt bietet Vorstellungen, im Sommer läuft am Strand ein Kinoprogramm. Ein Baumwipfelpfad führt am Ortsrand zum höchsten Punkt der Insel. Am Strand bieten mehrere Strandbars von Mitte März bis Oktober kühle Getränke, kleine Snacks und mitunter abendliche Live-Musik. Hier können auch die Strandkörbe gemietet werden. Volleyball- und Beachtennisfelder stehen zur freien Verfügung. Am Sportstrand von Ahlbeck  finden kleine Turniere statt, hier wird auch Beach Tennis gespielt, eine Mischung aus Tennis, Beachvolleyball und Badminton.

Aus der Vielzahl von Lokalen in den drei Seebädern stechen Domkes Fischrestaurants mit ihrem Angebot an fangfrischem Fisch heraus. Hier wurde die größte Fischsülze der Welt hergestellt, hier wird der Weltrekord der größten Fischsojanka gehalten.

Peenemünde, Historisch-Technisches Museum. Foto: Ulrich HorbDie drei Kaiserbäder sind ein guter Ausgangspunkt für die Erkundung der Insel. So lohnt in Peenemünde ein Besuch im Historisch-Technischen Museum, das sich kritisch mit der Geschichte des hier in der NS-Zeit entstandenen größten militärischen Forschungszentrums Europas auseinandersetzt. Zwischen 1936 bis 1945 arbeiteten bis zu 12.000 Menschen, größtenteils Zwangsarbeiter, hier an Raketen und  Waffensystemen, die etwa gegen die Zivilbevölkerung Englands eingesetzt werden sollten. Dargestellt wird in der Ausstellung auch, wie die technischen Entwicklungen in der Nachkriegszeit eine Fortsetzung etwa in den USA oder der Sowjetunion fanden.

Usedom, Garten am Atelier von Otto Neimeyer-Holstein. Foto: Ulrich HorbZwischen den Orten Zempin und Koserow, an der schmalsten Stelle der Insel Usedom, an der Ostsee und Achterwasser nur etwa 300 Meter auseinander liegen, hat der Maler Otto Niemeyer-Holstein (1896 – 1984) die Ostseeküste in seinen Bildern festgehallten.  In  Lüttenort,  früher von Sturmfluten bedroht, befindet sich inmitten eines Gartens das Gedenkatelier des Malers.

Zwischen Koserow und Heringsdorf liegt das kleine Seebad Ückeritz, das sich als „natürlicher Badeort in der Tradition des einstigen Fischer- und Bauerndorfes“ empfiehlt.   Der Sportboothafen am Achterwasser bietet Wassersportlern Surf- und Segelmöglichkeiten.

Usedom, Schloss Mellenthin. Foto: Ulrich Horb
Usedom, Schloss Mellenthin. Foto: Ulrich Horb
Usedom, Schloss Mellenthin, Verkaufsladen. Foto: Ulrich Horb
Usedom, Schloss Mellenthin, Verkaufsladen. Foto: Ulrich Horb

Das Wasserschloss Mellenthin wurde zwischen 1575 und 1580 im Renaissance-Stil erbaut und nach 2001 aufwendig restauriert, so dass ein Hotel, eine Brauerei und ein Café mit Kaffeerösterei Platz gefunden haben. Auf einem Wassergraben können Besucherinnen und Besucher auf Flößen den einstigen Herrensitz umrunden.

Usedom, Schloss Pudagla. Foto: HorbZwischen Achterwasser und Schmollensee liegt das Dorf Pudagla mit seinem Schloss, dessen Sanierung noch nicht abgeschlossen ist. Pudagla war lange Sitz eines Prämonstratenserklosters. Das Schloss Pudagla hatte Herzog Ernst Ludwig von Pommern 1574 als Witwensitz für seine Mutter errichten lassen.

 

 

 

 

 

 

Von Ulrich Horb

Jahrgang 1955, lebt und arbeitet als Journalist und Fotograf in Berlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Translate »