Nicht nur die Krankheit selbst ist beängstigend. In seinem Buch „Die Krebsindustrie“ entwirft der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach auch ein beängstigendes Bild von der Ausbreitung von Krebs und den explodierenden Behandlungskosten. Lauterbachs gute Nachricht: Die Behandlungserfolge nehmen zu, zumindest für die Kinder der Babyboomer-Generation könnte Krebs heilbar werden.
Zunächst allerdings werden die Fallzahlen steigen. In den Jahren bis 2030 verdoppelt sich in Deutschland die Zahl der über 65jährigen. Damit erreichen mehr Menschen ein Alter, in dem über 40 Prozent aller Krebserkrankungen diagnostiziert werden. Allein in Deutschland, so Lauterbach, sei in den kommenden zwanzig Jahren mit zehn Millionen neuen Krebsfällen zu rechnen.
Für den einzelnen ist das ein dramatisches Schicksal, gegen das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln angekämpft wird. Für die Pharmaindustrie ist es ein gigantischer Wachstumsmarkt. Einige neue Medikamente werden in den nächsten Jahren auf den Markt kommen, einige sind bereits in der Anwendung. Lauterbach, der zu Beginn seines Buches die Verschiedenartigkeit der Krebserkrankungen dargestellt hat, macht allerdings auch die Probleme mit diesen Medikamenten deutlich.
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Wurde in den vergangenen Jahrzehnten vor allem operativ und mit Chemotherapie gegen den Krebs vorgegangen, so gibt es jetzt Mittel, die ganz gezielt einzelne Krebsarten und ihre Entwicklung bekämpfen. Längst gibt es noch nicht für alle Krebsarten Mittel, in einigen Fällen jedoch können sie die Lebenserwartung bereits heute deutlich erhöhen. Allerdings zu horrenden Kosten: Neue Medikamente werden zu Preisen im sechsstelligen Bereich auf den Markt gebracht. Alternative Medikamente gibt es für viele Patienten nicht, im Gegenteil, teilweise müssen mehrere Medikamente kombiniert werden.
Lauterbach erwartet in den kommenden Jahren weitere Forschungserfolge, die aber für die jetzige Generation der „Babyboomer“ zu spät kommen werden. Noch sind die Behandlungsmethoden nicht ausreichend gesichert, oft wird die Lebenserwartung nur um wenige Wochen verlängert. Gleichwohl können die Behandlungskosten das Gesundheitswesen insgesamt ins Wanken bringen.
Denn die Kosten der Medikamente stehen weder im Verhältnis zu ihrer Wirkung noch zu den Forschungskosten. Häufig beruhen Ergebnisse auf staatlich geförderter Grundlagenforschung – vor allem in den USA. Und: Viele Behandlungserfolge gelingen nur besonders erfahrenen Spezialisten, die in der Regel Privatpatienten vorbehalten sind. Eine Zwei-Klassenmedizin sei aber gerade bei Krebs nicht tolerierbar, stellt Lauterbach fest.
Lauterbachs Buch ist ein Ratgeber im doppelten Sinn. Er leitet aus seiner Analyse politische Handlungsempfehlungen für das Gesundheitswesen ab und nimmt dabei den Patienten in den Blick, für den mitunter die Lebensqualität wichtiger sei als einige Tage mehr schmerzhafter Lebenszeit. Um die Monopolstellung der großen Pharmaunternehmen aufzubrechen, schlägt er Maßnahmen zur Stärkung der mittleren und kleinen Unternehmen vor und eine bessere Förderung der Grundlagenforschung durch den Staat.
Aber Lauterbach gibt – nachdem er zu Beginn bereits die grundsätzlichen und durchaus verschiedenartigen Entstehungsmechanismen von Krebs erläutert hat – im 5. Kapitel auch Hinweise zur Vorbeugung und Früherkennung. Faktoren, die die Zellteilung anregen, können auch das Krebswachstum beschleunigen: Wurst oder der Verzehr von rotem Fleisch (Rind, Schwein oder Kalb) fördern Dickfarmkrebs, Rauchen fördert nahezu alle Krebsarten. Selbst der massenhafte Verzehr von Obst und Gemüse schützt bei weitem nicht so, wie von vielen erhofft. Aber zumindest die Kinder der Babyboomer dürften von der medizinischen Weiterentwicklung profitieren. Mit der Weiterentwicklung der genetischen Kenntnisse könnten nicht nur neue Früherkennungsmethoden zum Einsatz kommen, es könnten auch spezielle Empfehlungen zur Ernährung zum Einsatz kommen.
Auch wenn es keine Automatismen gibt: Das Krebsrisiko kann mit Rauchverzicht, Vermeidung von Übergewicht, gesunder Ernährung, regelmäßiger Bewegung und Verzicht auf Alkohol gesenkt werden, so Lauterbach. Eigentlich keine neuen Erkenntnisse. Aber bis Prävention, Früherkennung und Heilung verbessert sind, wäre es zumindest auch ein Weg, um die Gewinne der Krebsindustrie etwas zu senken.
Karl Lauterbach, Die Krebs-Industrie: Wie eine Krankheit Deutschland erobert, 288 Seiten, Rowohlt Berlin 2015, ISBN-13: 978-3871347986, 19,95 Euro (e-Book: 16,99 Euro)