Burkini-Verbot, Terrorismusgefahr und sexistische Übergriffe bestimmen die aktuelle öffentliche Debatte über Geflüchtete. Dem setzt Autorin Kristin Helberg jetzt ein ganz unaufgeregtes Ratgeberbuch für die Begegnung mit „Syrern bei uns“ entgegen. Es räumt Missverständnisse und Fehlinterpretationen aus und bleibt dabei immer realistisch.
Kristin Helberg, verheiratet mit einem syrischen Arzt, hat als freie Journalistin mehrere Jahre in Syrien gelebt und gearbeitet. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen und syrischen Gesellschaft hat sie nicht nur beruflich beobachtet, sondern in der eigenen Familie erlebt. Das ist auch schon einer der wesentlichen Erfahrungsunterschiede: Dort ein Staat mit korrupten Staatsbediensteten, Willkür und fehlender sozialer Absicherung, in dem der Zusammenhalt der Familie das stabilisierende Element ist, hier ein demokratischer Staat mit manchmal schwer durchschaubaren Regeln, der für den Zusammenhalt der vielen Individualisten sorgen muss, ohne dass die Familie noch hilft.
Mit ihrer Beschreibung hält Kristin Helberg auch der deutschen Gesellschaft und ihren Gewohnheiten den Spiegel vor. Und der Leser stellt erstaunt fest: Die wenigsten Unterschiede haben etwas mit Religion und Glauben zu tun. Vieles sind Konventionen und Rollenverständnisse, die hier wie dort einem dauernden Wandel unterliegen, die mehr mit regionalen oder sozialen Verhältnissen zu tun haben.
An den Anfang hat Kristin Helberg eine knappe Zusammenfassung der Entwicklung hin zum syrischen Bürgerkrieg gestellt, angefangen bei der willkürlichen Grenzziehung der europäischen Mächte über die politische Entwicklung, die Einschätzung der syrischen Oppositionsgruppen, die Basis des Assad-Regimes und die externen Einflüsse. Nicht alles ist immer im Detail belegt, insgesamt aber entsteht ein schlüssiges Bild, das auch aufzeigt, warum eine Verständigung mit dem Assad-Regime für viele Oppositionelle so undenkbar erscheint.
Es sind konservative Denkweisen und Werte, die mit den Geflüchteten angekommen sind, nicht unähnlich den Werten, die die AfD hier gegen sie zu verteidigen glaubt. Probleme im Alltag werden nicht herunterspielt, Verhaltensweisen nicht entschuldigt, auch wenn ihre Ursachen verständlicher werden. So lange ist es eben auch in Deutschland noch nicht her, dass eine Ehefrau ohne Zustimmung des Mannes keine Arbeit aufnehmen durfte.
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Meinungsfreudig setzt sich Kristin Helberg auch mit Begriffen wie der „Leitkultur“ auseinander, nur um schnell festzustellen, dass es sie so wenig gibt wie ein deutsches Gen. Sie verweist auf die gemeinsame Geschichte der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, auf die Rolle, die der Islam schon immer in Europa gespielt hat.
Kristin Helberg wirbt für eine geordnete Zuwanderung, für Patenschaften mit Geflüchteten, für eine Finanzierung bezahlbaren Wohnraums für alle, etwa aus Mitteln eines umgewidmeten Solidarpakts, für einfache Arbeitsaufnahme. Und sie plädiert leidenschaftlich dafür, zu differenzieren und die Normalität im Blick zu behalten. Letztlich gehe es überall auf der Welt darum, „gesund und zufrieden zu sein, in Freiheit und ohne Angst leben zu können.“