„Die Jusos haben in ihrer Geschichte mit einem klaren Kompass und einer Doppelstrategie – sowohl in die Partei hineinzuwirken als auch konkrete gesellschaftliche Bündnisse zu suchen – viele Diskurse in der Sozialdemokratie und in der Gesellschaft anstoßen können“, heißt es im Vorwort von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und dem Juso-Bundesvorsitzenden Sascha Vogt. Was da so selbstverständlich klingt, erweist sich beim Blick in die Geschichte der SPD-Jugendorganisation doch als steiniger und schwieriger Weg.
Thilo Scholle, Jurist und Referent im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, und Jan Schwarz, Student der Politik- und Verwaltungswissenschaft, haben die Geschichte der Jusos jetzt unter dem Titel „Wessen Welt ist die Welt?“ vorgelegt. Beide kennen den Verband, über den sie schreiben, auch aus der Innenansicht. Thilo Scholle war von 2008 bis 2011 Mitglied im Juso-Bundesvorstand, Jan Schwarz ist zur Zeit der Veröffentlichung stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender.
Es gibt nicht allzuviel Literatur, die sich mit der gesamten gut hundertjährigen Geschichte der Jusos befasst. 2004 erschien im Dietz-Verlag ein Band „Jungsozialisten zwischen Anpassung und Opposition“ von Martin Oberpriller, der auch im Titel schon die Widersprüche der Entwicklung deutlich machte. Etwas mehr Literatur gibt es zu einzelnen Phasen oder auch zu bestimmten theoretischen Auseinandersetzungen der Jusos. Schon deshalb ist der Band von Thilo Scholle und Jan Schwarz verdienstvoll.
Der Titel „Wessen Welt ist die Welt?“ ist dem Solidaritätslied entlehnt, das Bert Brecht und Hanns Eisler zu Beginn der dreißiger Jahre für den Film „Kuhle Wampe“ schrieben. Er markiert den Anspruch der Jusos wie der gesamten Arbeiterbewegung, die Verteilungsfrage zu stellen, die Frage nach der Gerechtigkeit.
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Etliche der Parteigründer der Sozialdemokratie vor 150 Jahren waren nach heutigen Verständnis im Juso-Alter. Eine eigene Jugendorganisation gab es allerdings erst Jahrzehnte später. Der erste Arbeiterjugendverein, auf den sich die Jusos in ihrer Geschichtsschreibung beziehen, entstand nach dem Selbstmord des Schlosserlehrlings Paul Nehring in Berlin. Nehring hatte die Misshandlungen seines Lehrmeisters nicht mehr ertragen und sich 1904 das Leben genommen. Am Anfang der Arbeiterjugendbewegung ging es daher um konkrete Verbesserungen im Arbeitsleben von Auszubildenden und jungen Arbeitern. Die ersten Versammlungen hatten riesigen Zulauf, noch aber sorgte das Vereinsrecht für geringe Entfaltungsmöglichkeiten.
In der Sozialdemokratie waren es vor allem Ludwig Frank und Karl Liebknecht, die eine eigenständige Jugendarbeit förderten. Schon in den Anfängen war die Arbeit nicht auf Deutschland beschränkt. 1907 gründete sich in Stuttgart die „Sozialistische Jugendinternationale“. Es ist auch ein Versuch, der drohenden Kriegsgefahr entgegenzuwirken. Der Kriegsausbruch und die Bewilligung der Kriegskredite spalteten die sozialdemokratische Jugendbewegung, so wie auch die Partei insgesamt.
In der SPD setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass es zusätzlicher organisatorischer Anstrengungen bedarf, um die Jugend anzusprechen. Immer wieder stand dabei auch die Frage im Mittelpunkt, wie eigenständig die Jusos wirken können, wieviel Kritik an den Positionen der Partei möglich ist. Dem stand schon zu Beginn die Erwartung der SPD-Vorstände gegenüber, dass die Jusos vor allem in der Partei mitarbeiten und die Jugendlichen ganz im Sinne der Parteiprogrammatik schulen.
Theoriedebatten bestimmten immer wieder die Geschichte der Jusos, so Mitte der zwanziger Jahre, als sich in Hofgeismar ein Kreis bildete, der gegen die internationalistisch und marxistisch orientierte Mehrheit einen Sozialismus propagierte, der stärker auf nationale Identität setzte. Statt auf die Zusammengehörigkeit von Klassen wurde der Akzent auf die Zusammengehörigkeit der Deutschen gelegt. Auf Kongressen und in Theoriezeitschriften wurde die Debatte ausgefochten.
Anfang der dreißiger Jahre nahmen die Auseinandersetzungen mit der Mutterpartei zu, die befürchtete, die Jusos würden zur Partei in der Partei werden und einen eigenen Ordnerdienst gründen. 1931 wurden die Jusos aufgelöst.
Mit einer zunächst engen Anbindung an die Partei entstanden die Jusos nach 1945 als Arbeitsgemeinschaft innerhalb der Partei wieder. Auf Bundesebene bestimmten anfangs nicht gewählte Vorstände sondern ein hauptamtlicher Parteisekretär die Richtung. Bis in die sechziger Jahre hinein prägt die Auseinandersetzung zwischen Ost und West und die Konfrontation mit dem DDR-System auch die Juso-Arbeit. Wie der Studentenbund SDS greifen dann aber auch die Jusos die Debatten der Außerparlamentarischen Opposition auf. 1969 erfolgte auf dem Bundeskongress in München die „Linkswende“. Als „sozialistischer Richtungsverband“ drängen die Jusos künftig auf gesellschaftliche Veränderung, aber auch auf Veränderung der Partei. Über die richtige Strategie setzen sich in den siebziger Jahren drei Strömungen auseinander: der Hannoveraner Kreis („Stamokaps“), der Malenter Kreis („Refos“, später „Undogmatische“) und der Göttinger Kreis („Antirevisionisten“). Sie ringen um die Frage, ob der Weg zum Sozialismus mit Reformen überhaupt möglich ist, ob und mit wem Bündnisse zu schmieden sind, um gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen. Veröffentlichungen müssen sich Jusos zu dieser Zeit vom Parteivorstand genehmigen lassen. Als der erste aus dem Hannoveraner Kreis kommende Juso-Bundesvorsitzende Klaus Uwe Benneter dagegen anging und in einem Interview erklärte, die Mitgliedschaft in der Partei sei „kein Dogma“, folgte der Ausschluss aus der SPD. Erst rund sechs Jahre später konnte er wieder eintreten.
Die Auseinandersetzungen um Theorie und Praxis bestimmten noch einige Jahre die Juso-Arbeit, u.a. mit der Debatte um die „Herforder Thesen“ des Hannoveraner Kreises. Stellten die Jusos in den besten Zeiten in den siebziger Jahren rund ein Drittel der Parteimitglieder, so machte ihr Anteil in den neunziger Jahren aber nur noch rund ein Zehntel aus. Dennoch wird mit einem Blick auf die Namenslisten deutlich, wie viele Jusos später in der Partei wichtige Aufgaben übernommen haben, von Erich Ollenhauer über Heidemarie Wieczorek Zeul, Gerhard Schröder oder Andrea Nahles. Manches, was in den Theoriediskussionen eine Rolle spielte, fand sich in der Realität der Finanzkrise wieder. Und schon früh wandten sich Jusos gegen Privatisierungen und warben für eine gute öffentliche Daseinsvorsorge.
Thilo Scholle und Jan Schwarz beschreiben die Geschichte der Jusos anhand der wesentlichen Stationen, Konflikte und Auseinandersetzungen, sie arbeiten Positionen heraus, liefern zu vielen Persönlichkeiten der Juso-Geschichte kurze biographische Angaben. Gut und ausführlich ist vor allem die Phase nach der „Linkswende“ 1969 mit ihren verschiedenen Strömungen und Debatten beschrieben. Hier lassen sich Trends und Hintergründe erkennen.
Durchaus erweiterungsfähig sind die Phasen davor. Wie lief – jenseits des Konflikts zwischen Hofgeismarern und Hannoveranern – in den zwanziger und dreißiger Jahren die praktische Juso-Arbeit ab? Was zum Beispiel hat den Berliner SPD-Bezirksverband mit seinem Vorsitzenden Franz Künstler in den zwanziger Jahren veranlasst, die Auflösung der Jusos so vehement zu betreiben? Auch die Vorgeschichte der „Linkswende“ lohnt sicher eine intensivere Betrachtung: Welche Veränderungen hat es zum Beispiel in den Landesverbänden gegeben? Es spricht also nichts gegen eine zweite, erweiterte Auflage, die stärker die Breite der Organisation in den Blick nimmt und auch erläutert, was sich hinter einzelnen Tagesordnungspunkten oder Aufsatz-Überschriften verborgen hat.
Thilo Scholle , Jan Schwarz, „Wessen Welt ist die Welt“: Geschichte der Jusos, gebundene Ausgabe 2013, 261 Seiten, Verlag Vorwärts Buch, ISBN-10: 3866027613, 20 Euro.