Die Zustandsbeschreibungen sind nichts für Depressive. „Eine ,fortschrittliche Vision’ von Europa zu haben, ist heute schwierig, wenn nicht gar unmöglich geworden“, lautet der erste Satz von Laurent Bouvets Aufsatz „Eine fortschrittliche Vision von Europa“. Und René Cuperus sieht im ersten Absatz seines Beitrags „Gegen ein Einheitseuropa“ bei den Europawahlen ein „politisches Blutbad“ heraufziehen, wenn radikale Föderalisten und radikale Populisten aufeinandertreffen.
Nicht nur diese beiden Autoren aus Frankreich und den Niederlanden sehen Europa in größten Schwierigkeiten. Schon der Buchtitel „Für ein anderes Europa“ legt nahe, dass es mit dem vorhandenen nicht allzu weit her sein kann. Unisono werden der EU Demokratiedefizite attestiert. Und auch die Eurokrise ist längst nicht überwunden. Positive Bilder sind Erinnerungen an die Ursprünge, etwa, wenn Herta Däubler-Gmelin an die lange Friedensphase erinnert.
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Für den im Bonner Dietz-Verlag erschienenen Band haben die Herausgeber Ernst Hillebrand und Anna Maria Kellner, beide für die Friedrich-Ebert-Stiftung tätig, linke Intellektuelle aus elf europäischen Staaten eingeladen, ihre Visionen für ein progressives Europa aufzuschreiben. Herausgekommen ist ein Band, der die Vielfalt der Ideen zeigt, aber auch deutlich macht: Dieses heutige Europa kann und muss weiterentwickelt werden.
„Existieren kann die Europäische Union nur dann, wenn sie nicht allein auf eine Gemeinschaft der ökonomischen Interessen, sondern auch auf den gemeinsamen Werten und der Beständigkeit der Sympathien zwischen den Völkern der Europäischen Union aufbaut“, schreibt György Konrad in seinem Beitrag. Damit spricht er vielen Autoren aus der Seele, die – wie etwa Zoltan Pogatsa am Beispiel des Umgangs mit der rechten Regierung in Ungarn – noch das Fehlen gemeinsamer Werte beklagen. Da gibt es klare Vorstellungen aller Autoren: Es gilt die Interessen der Finanzmärkte und der großen Unternehmen zugunsten eines sozialen Europas zurückzudrängen.
Anna Maria Kellner / Ernst Hillebrand (Hg.), Für ein anderes Europa, Beiträge zu einer notwendigen Debatte, Januar 2014, 191 Seiten, Broschur
16,80 Euro, ISBN 978-3-8012-0452-5
(erschienen in: Berliner Stimme, 22. März 2014)