„Eine Streitschrift“ verspricht der Untertitel des Buches „Der Irrweg der Volksgesetzgebung“ von Franz Decker, das jetzt im Bonner Dietz-Verlag erschienen ist. Und tatsächlich bezieht der Politikwissenschaftler gleich zu Anfang eindeutig Position: „Der Verfasser ist nämlich überzeugt, dass die Volksgesetzgebung ein unehrliches Versprechen abgibt, das auf der Bundesebene noch weniger einlösbar sein dürfte als in den Ländern.“
In den Bundesländern gibt es inzwischen etliche Erfahrungen mit direkter Demokratie, auf Bundesebene wird die Einführung in verschiedenen Parteien diskutiert, zuletzt in der CSU. Decker, Professor für Politische Wissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, nimmt die Forderungen nach Ausweitung der direkten Demokratie und einer Einführung von Plebisziten auf Bundesebene zum Anlass seiner Analyse.
Decker erläutert den spezifisch deutschen, historisch gewachsenen Umgang mit direkter Demokratie, die Balance zwischen dem Verfassungsstaat, der den Machtmissbrauch innerhalb der Demokratie verhindert, und der Volkssouveränität.
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Plebiszitäre Elemente können ein demokratisches Regierungssystem ergänzen, müssen es aber nicht. „Wer sie neu einführen will, muss deshalb den Nachweis führen, dass sie in das System hineinpassen und ihnen ein demokratischer Mehrwert innewohnt“, so Decker. Plebiszite dürfen nicht nur symbolische Funktionen erfüllen, sondern müssen echte politische Wirkung haben.
Decker beleuchtet die direktdemokratischen Elemente in anderen Ländern und erörtert die demokratietheoretischen Fragen, etwa die Verbindlichkeit von volksbeschlossenen Gesetzen, die Möglichkeit ihrer Überprüfbarkeit und die Rolle des Verfassungsgerichts, die Frage von Quoren und demokratischer Legitimität.
Gängige Gegenargumente gegen Volksentscheide wie die Frage, wie vernunftgeleitet dabei Entscheidungen getroffen werden, lässt Decker nicht gelten. Auch der Einwand der politischen Linken, bei Volksentscheiden würden sich eine soziale Selektivität zeigen, wischt Decker beiseite. Beides wäre bei normalen Wahlen nicht anders. Auch dass damit dem Populismus Tür und Tor geöffnet würde, glaubt der Autor nicht. Der könne sich im Rahmen des Parteienwettbewerbs womöglich noch viel ungehinderter entfalten.
Für Decker ist ein Konfliktherd bei der Einführung von Volksgesetzgebung auf Bundesebene vor allem der potenziell größere Anwendungsbereich, der wichtigere Materien betreffen würde als auf Länderebene. „Als Korrektiv kämen die Volksrechte allenfalls bei einer zahlenmäßig zu schwachen Opposition in Betracht“, so Decker. Ungelöst bleibt seiner Einschätzung nach die Frage einer angemessenen Beteiligung der Länder im Volksgesetzgebungsverfahren. Bisherige Vorschläge zur Länderbeteiligung hält er für Scheinlösungen. Denkbar wären allerdings andere Verfahren zur Ergänzung, etwa obligatorische Verfassungsreferenden, die dann auch bei der Übertragung von Souveränitätsrechten an die EU durchgeführt werden müssten. Ein weiterer Weg könnte ein „Entscheidungsreferendum“ sein, auslösbar vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit und Zustimmung des Bundesrates.
Frank Decker, Der Irrweg der Volksgesetzgebung, Eine Streitschrift, 184 Seiten, Broschur, 16,90 Euro, Verlag J.H.W. Dietz Nachf., ISBN 978-3-8012-0469-3, September 2016