Do. Nov 21st, 2024
Cover "Integriert Euch!"
Cover „Integriert Euch!“

„Integriert Euch“, steht in roter Schrift auf dem knallig-gelben Buchumschlag, ein Ausrufezeichen dahinter. Eine ziemlich plakative Aufforderung.  Es fällt schwer, so ein Buch  in der S-Bahn zu lesen, da, wo es wie eine schroffe Ansprache an die Gegenübersitzenden wirken könnte. Aber allein schon an solchen Überlegungen ist ablesbar, wie belastet die Debatte um das Thema Integration ist, wie konfrontativ der Begriff vielfach behandelt wird, und wie viel mitunter auch überflüssige Rücksicht genommen wird. Denn die Aufforderung ist bei Annette Treibel keine einseitige, es ist kein „Integriert Euch bis zur Unkenntlichkeit“, sondern die klare Botschaft: Integration ist ein Projekt für alle.

Annette Treibel, Professorin für Soziologie am Institut für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, hat ein, so der Untertitel, „Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland“, vorgelegt, entstanden zu einer Zeit, als die Zahl der in Deutschland Schutzsuchenden schon deutlich angestiegen war, aber noch nicht die Größenordnung  der letzten Wochen erreicht hatte. Jetzt hat ihr Buch eine zusätzliche Aktualität bekommen, weil es dazu beitragen kann, Fehler zu vermeiden, die in der Bundesrepublik schon einmal gemacht wurden. Auch wenn ihr Thema ausdrücklich das „Verhältnis von schon länger in Deutschland lebenden Einwanderern zu anderen Einheimischen“ ist.


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Entstanden ist das Buch auch als Antwort auf die Sarrazin-Thesen, wie Annette Treibel anmerkt. Aber es ist ein unaufgeregtes, sachliches, erklärendes Buch. „Deutschland findet sich neu statt Deutschland schafft sich ab“, lautet die Vision der Autorin.

Sie sensibilisiert  mit nüchternen Zustandsbeschreibungen, sie zeigt, warum auch eine gut gemeinte Frage („Woher kommen Sie?“) als Mittel der Ausgrenzung dienen kann.  Mit ihren Begriffserklärungen schafft sie eine Grundlage für die Debatte und ein gemeinsames Verständnis. Was ist Migration, was heißt es, Deutscher zu werden? Und: Wie wird man deutsch? Was ist Mehrfachintegration? Taugt der Integrationsbegriff überhaupt noch? Ja, sagt Annette Treichel, wenn er als Aufgabe für alle verstanden wird. „Zunehmende Verschiedenheit und Komplexität zu verarbeiten, kann anstrengend sein.“ Integration heißt für sie Kooperation, aber auch Konflikt. „Reibungen und Auseinandersetzungen gehören genauso dazu wie Annäherung und Sympathie.“ Überraschende Parallelen stellt sie zwischen NSU und dem „Islamischen Staat“ fest. Beide kämpfen gegen Heterogenität und Integration.

In der Anerkennung der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, dass Menschen „unterschiedlicher Herkunft und mit ganz verschiedenen Migrationsbiographien“ hier heimisch werden können und diese Gesellschaft ausmachen können, eröffnet sich eine neue Perspektive. „Integriert Euch!“ ist ein wichtiger Beitrag, sie zu erkennen.

Annette Treibel, Integriert Euch! Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland, Sept.  2015,  208 Seiten, EUR 19,90,  ISBN 978-3-593-50461-2

Von Ulrich Horb

Jahrgang 1955, lebt und arbeitet als Journalist und Fotograf in Berlin

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