Barack Obama, im Herbst 2008 offiziell zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gekürt, gilt hierzulande – gerade nach den Erfahrungen mit George Bush und dem Irakkrieg- als Hoffnungsträger. Zehntausende wollten ihn in Berlin sehen und hören. Aber ob man ihn auch verstanden hat, wird sich erst noch zeigen. In ihrem Buch „Warnung vor dem Freunde“ setzt sich Marcia Pally, Professorin für Kulturwissenschaften an der New York University, mit Tradition und Zukunft der US-amerikanischen Außenpolitik auseinander. Ihr Blick in die Geschichte zeigt, warum Republikaner und Demokraten durchaus eine ähnliche Außenpolitik betreiben.
Wenn man die amerikanische Politik verstehen wolle, müsse man ein „Ohr“ für die evangelikalen Klänge haben, die in ihr nachhallen, schreibt Marcia Pally. Spannend und faktenreich beschreibt sie, welch unterschiedliche Entwicklung die Gesellschaften in den USA und Europa genommen haben und welche unterschiedliche Rolle dabei auch die Kirche gespielt hat.
Während die europäische Aufklärung stark antiklerikal ausgerichtet war, die Kirche sich als Bewahrer von Monarchie und Tradition verstand und entsprechend als Teil des Unterdrückungsapparats angesehen und angegriffen wurde, waren in den USA Gewissensfreiheit, liberale Selbstverwaltung, die Freiheit des Einzelnen elementare Glaubensbestandteile. Der Kampf gegen Despotismus war ein Kampf für Gott, die Individualität war gottgegeben. Während die Kirche in Europa durch ihre Politik an Einfluss verlor, wuchs die Bedeutung der Kirchen in den USA, gerade weil sie formal keinen Einfluss auf die Politik nahmen. Die Einwanderer brachten ihre eigenen Vorstellungen von Gott mit, Amerika wurde zum „gelobten Land“. In einer solchen Tradition wird dann das Verständnis von „Amerika als Triebkraft einer von Gott gewollten Freiheit“ nachvollziehbar, der missionarische Eifer beim Kampf Gut gegen Böse, am besten verkörpert seit den siebziger Jahren von den Republikanern, die dafür die offene Unterstützung der Evangelikalen erhalten. Aber auch den Demokraten ist diese Tradition nicht fremd. Und: Auch heute halten sich 90 Prozent der Amerikaner für religiös.
Marcia Pally: „In Amerika geht es bei Wahlen nicht darum, ob die Nation die Weltsicht der Demokraten oder die der Republikaner übernimmt. Amerikas Größe und Vielfalt sind kaum auf einen Nenner zu bringen, sodass die Nation nicht für längere Zeit von ihren Kernzielen abrücken oder ständig von links nach rechts wechseln kann.“ Für sie folgt daraus: „Bei Wahlen geht es darum, welche Politik mit der amerikanischen Weltsicht am besten vereinbar ist.“ Zwar wären die Republikaner darin lange erfolgreich gewesen, aber: Wer seine Politik auf diese Weltsicht beziehe, habe in Amerika einen Anspruch auf die politische Macht.
Das Spektrum und die äußeren Grenzen des außenpolitischen Verhaltens der USA, so Marcia Pallys These, werden weniger durch die Evangelikalen direkt bestimmt als durch die „Werte und Überzeugungen, die aus Amerikas säkulären und evangelikalen Erfahrungen erwuchsen“.
Es ist nicht nur die historische Darstellung, die Marcia Pallys Buch so lesenswert macht. Es ist die detailreiche Beschreibung der US-amerikanischen Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte, geprägt vom mit allen Mitteln geführten Kampf gegen das Böse, das immer dort ausgemacht wurde, wo Amerika an Einfluss verlor. Das von Marcia Pally beschriebene Vorgehen der USA und die zahlreichen Zitate belegen das Wechselspiel aus Stabilisierung und Destabilisierung von Ländern und Regionen, die verdeckte Einflussnahme, die Sicherung von Rohstoffinteressen, das Hinwegsetzen über Konventionen. All das im Namen einer guten Sache, eines Sendungsbewusstseins, aber auch einer Mischung aus idealistischen und wirtschaftlichen Motiven.
Marcia Pally wirft die Frage auf, ob und wie sich die amerikanische Außenpolitik beeinflussen und verändern lässt. Einen möglichen Ansatzpunkt sieht sie in Europa. Eine interessante Frage sei, „ob Europa mit einer konkreten Vision und entsprechendem Handeln die in der Welt herrschenden Bedingungen ändern kann“. Marcia Pallys „Warnung vor dem Freunde“ kann ein Schritt dazu sein, weil das Buch unpolemisch erklärt und das Verständnis für den Partner USA fördert.
Marcia Pally, Warnung vor dem Freunde, aus dem Amerikanischen von Michael Haupt, Klappenbroschur, 272 Seiten, ISBN: 978-3-86601-601-9, Preis: 19,80 Euro.
(erschienen in: Berliner Stimme, 6. September 2008)